Donnerstag, 28. September 2006

Alltäglicher Wahnsinn

Eigentlich wollte ich meinen PC schon zur wohlverdienten Nachtruhe schicken, aber dank eines Interviews, das Günther Jauch mit der Intendantin Wer-auch-Immer von der Berliner Oper führte, darf der alte Herr noch nicht in den Schönheitsschlaf sinken. Auch wenn er mich deshalb böse anbrummt, so weiß ich doch immerhin dadurch, dass ich mich immer noch in der Realität befinde und nicht in meinem vor kurzem veröffentlichten FanFic, in dem ein an Vogelgrippe erkranktes Mädchen Massenhysterie und Diktatur auslöst.

Nun, so weit ist es zum Glück noch nicht, aber immerhin hat die Massenhysterie dazu geführt, dass auf Grund eines anonymen Anrufs an der Berliner Oper vier Aufführungen von Idemeneo ausfallen, da Mozart offenbar schon damals ausgezogen war, um die islamische Welt zu beleidigen. Wohlgemerkt hatten nicht Usama bin Laden, Ayatollah Khomeini aus dem Totenreich oder sonstige medienbekannten Superschurken in Berlin angerufen, sondern eine Person weiblichen Geschlechts, die noch nicht mal bereit war, der Öffentlichkeit ihren Namen zu nennen. Es könnte sich also sowohl um einen Schülerstreich als auch einen Anruf von Station 1 in Süchteln gehandelt haben. Oder von jemandem, der einfach keine Mozart-Opern mag. Der nächste Anschlag könnte also der Entführung aus dem Serail (äußerst politisch unkorrekt) oder der Zauberflöte (anonyme islamistische Tierschützer laufen Sturm gegen den Vogelfänger) gelten. Die Intendantin erklärte standhaft, bei der Programmänderung nur das Wohl des Publikums im Sinn zu haben, da einer ihrer Freunde auch morgen noch an ihrem schönen Opernhaus vorbeifahren wolle. Wahrscheinlich surren schon verdächtige Flugzeuge darüber herum. Ich persönlich würde in diesem Fall empfehlen, schon einmal Chuck Norris, das Stargate Team und Luke Skywalker vor der Oper zu postieren. Die wenden bekanntlich jedes Unheil von der zivilisierten Menschheit ab, also werden sie auch mit mozarthassenden Islamisten fertig werden.

Wenn ich an meine Zeit als Jugendgruppenleiterin einer kleinen jüdischen Gemeinde zurückdenke, kann ich da nur den Kopf schütteln. Fast jedesmal hatten wir irgendeine Bombendrohung, aber trotzdem gaben wir nicht auf. Sonst hätte jede jüdische Gemeinde in Deutschland und anderswo längst dichtmachen müssen, denn in unruhigen Zeiten sind Bombendrohungen dort fast an der Tagesordnung.

Ich will hier keine tatsächlich existierenden Gefahren verharmlosen, aber es kann doch nicht angehen, dass wir unsere Gesellschaft jetzt in vorauseilendem Gehorsam selbst lahmlegen und uns keinen Schritt mehr vor die Tür trauen. Seit Jahren leide ich unter einer generalisierten Angsterkrankung, und manche meiner Ängste sind berechtigt. von anderen kann ich mich langsam mühsam befreien. Aber verkriechen gilt nicht. Auch bin ich sehr dafür, das Provozieren anderer Religionen möglichst zu unterlassen, aber ich kann nicht einsehen, dass eine Oper, die seit unzähligen Jahrzehnten aufgeführt wird, plötzlich eine Provokation sein soll, wohlgemerkt nicht auf Protest einiger Muslime, sondern auf Grund eines einzigen Anrufs. Dass auch Muslime eine Menge Humor verpacken können, beweisen Shows wie die von Kaya Yanar, oder hat jemand schon einmal einen Massenprotest türkischer Muslime gegen Fahrschule Yilderim gesehen? Auch wir Juden können diesbezüglich einiges ab, sonst wären Mel Brooks und Ephraim Kishon niemals zu solcher Popularität gelangt.

Also arbeitet doch endlich mal mit den vernünftigen Muslimen zusammen, nicht mit den passionierten Fahnenverbrennern, die nur auf einen Anlaß warten. Oder hört auf, auf seltsame anonyme Anrufe zu hören. Tut ihr doch sonst auch nicht.

Übrigens überlege ich gerade, ob ich mal bei jedem Opernhaus anonym anrufe, das Wagner-Opern aufführt. Das provoziert mich nämlich auch. Oder bei den Passionsfestspielen in Oberammergau oder bei Mel Gibson. Ob man mit meinen Gefühlen als Jüdin auch so sensibel umgeht?

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